MARTIN AUER QUINTETT

Hot Five- seit 25 Jahren!

Ein Tribut an Louis Armstrong? Vermintes Gelände. Normalerweise. Zu groß ist der Respekt, bisweilen die Ehrfurcht vor seinem musikalischen Erbe. Mit seinem kraftvollen, erdigen Spiel und seiner überragenden Technik beeinflusst Armstrong Jazzmusiker bis in die heutige Generation.  Der schwarze Trompeter aus New Orleans gilt zudem als Erfinder des modernen Jazz, in dem nicht mehr der Gedanke der kollektiven Improvisation im Mittelpunkt steht, sondern auch einzelne Spieler solieren dürfen.  Vor 120 Jahren wurde Armstrong geboren, vor 50 Jahren starb er. Diese beiden runden Jahrestage haben die Mitglieder des Martin Auer Quintetts zum Anlass genommen, um „Satchmo“ auf ebenso liebe- wie respektvolle Weise zu würdigen. Dabei ist ihnen mit „Hot 5“ ein in jeder Hinsicht großartiges Album gelungen, mit dem sich die Band – 25 Jahre nach der Gründung – ein ganz besonderes Geschenk macht.

Michael Auer Quintett © Gregor Baron

Martin Auer Quintett Photo © 2020 Gregor Baron

Der Albumtitel bezieht sich auf die Bands „Hot 5“ und „Hot 7“, mit denen Armstrong und seine Frau Lil Hardin Armstrong zwischen 1925 und 1928 mehrere Dutzend Stücke einspielten. „Die meisten dieser rund 80 Kompositionen sind heute vergleichsweise unbekannt, zu ihrer Zeit jedoch waren sie Welthits. Stücke wie „West End Blues“, Struttin`With Some Barbecue“ oder „Hotter Than That“ sind bis heute unübertroffen, weil sie eindrucksvoll belegen, wie virtuos diese fünf Musiker ihre Instrumente beherrschten“, sagt Trompeter Martin Auer, der die Initialzündung zum Projekt gab.
Dass er und seine Bandkollegen Fingerspitzengefühl beweisen, wenn es darum geht, Werke von Jazzlegenden neu zu arrangieren, haben sie schon 2015 bewiesen. Mit „Our Kind Of Blue“ (LAIKA Records) erschien damals ihre Version des Jahrhundert-Albums von Miles Davis. Den Vorwurf, musikalische Trittbrettfahrerei oder gar Leichenfledderei zu begehen, fürchteten sie schon damals nicht. „Wenn man ein Vierteljahrhundert in identischer Besetzung zusammenspielt, entsteht automatisch ein eigener, unverwechselbarer Stil“, betont Pianist Jan Eschke und ergänzt: „Insgesamt kommt uns der Sound der Hot 5 um Louis Armstrong aber schon entgegen. Alle Fünf haben enorm Gas gegeben und damit die Messlatte in Bezug auf das Energielevel sehr hoch gelegt.“
Die Arbeitsweise des Martin Auer Quintetts folgt bei solchen Projekten einer bewährten Routine. Am Anfang steht eine intensive Auseinandersetzung mit den Originalen. Danach wählen die Mitglieder jeweils ihre Lieblingsstücke aus, die sie – nachdem sie sie in ein modernes Gewand gekleidet haben - mit zu gemeinsamen Proben bringen. Dann beginnt der eigentliche, kreative Prozess, in dessen Verlauf jeder der fünf Musiker seine Handschrift hinterlässt. „In den Proben sind auch dieses Mal wieder sehr spannende Dinge passiert“, blickt Eschke auf die Entstehung des Albums zurück. „So hat unser Schlagzeuger Bastian Jütte bei „Cornet Chop Suey“ rhythmische Ebenen eingebaut, die den eigentlichen Reiz unserer Adaption ausmachen. „Hotter Than Hot“ hat er im Stile einer kleinen Suite arrangiert, während „Muskrat Ramble“ völlig ohne Schlagzeug auskommt und wie ein Bossa Nova klingt - was für unsere Verhältnisse ungewöhnlich ist“, ergänzt Auer.
Auf diese Weise nutzen der Trompeter und seine Spielgefährten die Originale als „Sprungbrett in ihre eigene Klangwelt“, wie rbb-Jazzredakteur Ulf Drechsel in den Liner Notes schreibt. „Armstrong ist immer präsent, immer gegenwärtig. Manchmal ein bisschen versteckt, aber nie abwesend. Vielleicht würde Armstrong seine vor über 90Jahren aufgenommenen Songs heute selbst so spielen“, heißt es dort. Tatsächlich bräuchte Satchmo nicht allzu viel Fantasie, um Stücke wie „West End Blues“ wiederzuerkennen, das Musikkritiker zu den „Jahrhundertaufnahmen des Jazz“ zählen. Das markante Motiv taucht ebenso auf wie das eingängige Intro, das allerdings - metrisch variiert - ans Ende der Komposition gewandert ist.
Es sind solche kleinen, aber überaus feinen Kunstgriffe, die „Hot 5“ zu einem Hörerlebnis der besonderen Art machen. Wenn die Mitglieder des dienstältesten deutschen Jazzquintetts zu ihren Instrumenten greifen, um Jazz-Legende Louis Armstrong zu würdigen, lautet ihr Motto: Skalpell statt Vorschlaghammer! Zwar ist das energetische Level enorm hoch, der Sound dicht – aber das Quintett schafft es auch immer, die musikalischen Pole maximal auszureizen. 
„Natürlich ist es immer eine Gratwanderung, altes Material in ein neues Gewand zu kleiden.  Das erfordert einen gewissen Mut, und die Überzeugung, dem Publikum einen Mehrwert zu bieten“, fasst Auer den musikalischen Grundgedanken der Produktion zusammen. „Mit unserer Bearbeitung wollen wir zeigen, welche großartigen Kompositionen Armstrong und seine Frau Lilian Hardin in ihrer früheren Schaffenszeit kreiert haben. Gleichzeitig wollen wir die jüngeren Zuhörenden dazu animieren, sich auch den Originalen zuzuwenden.“
Brückenbauen zwischen musikalischen Ären – ein grundsympathischer Gedanke, dem sicherlich auch Satchmo zugestimmt hätte!